"Die Seele ist so etwas Wertvolles wie die allerkostbarste und allerseltenste Blume, die erst Blütenpracht
und Farbenpracht entfalten und Duft ausströmen kann, wenn sie sich soweit entwickelt hat, daß
die Blüte überhaupt eintreten kann.
Die Blüte der Seele ist dann das Eingehen der Seele in den Geist, womit der Geist sich der Seele fortan
als unvergänglichen Geistkörper für alle Ewigkeit bedienen kann.
Da erhielt ich eines Abends, als wir in einer Karawanserei in einer tiefen Talmulde übernachteten, wo es
keinen Schnee gab und wo auf den Grasflächen sogar zarte Blumen blühten und wir infolge der
verhältnismäßig lauen Luft uns noch eine Weile vor dem Karawanserei-Gebäude selbst aufhielten,
von Bruder Xers den gewünschten Aufschluß:
"Ich weiß," begann er, auf mich zutretend, "was dich quält, lieber Bruder Amo! Du bist deiner selbst nicht
mehr sicher. Du weißt nicht recht, was du von dir selbst halten sollst! Die Gefühle und Empfindungen sind
so widersprechend. Stimmt es?"
Als ich bejahte, legte er seinen rechten Arm um meine Schulter und erklärte, wobei er wie weltverloren
in die Ferne blickte:
"Siehe, du bist jetzt etwa in einem Zustand, in dem jemand seine altgewohnte Wohnstätte für immer
verläßt. Du bist innerlich erregt und aufs Höchste auf das gespannt, was sich dir alles in dem Zustand
und unter den Verhältnissen bieten wird, in die du nun einzugehen gedenkst. Beim Verlassen einer alten
Wohnstätte besucht man wohl noch einmal alle Stellen, die bisher eine Bedeutung für einen hatten.
Aber es ruht nicht mehr jener Zauber auf ihnen, den man früher empfunden hatte. Man hat sich durch den
bevorstehenden Fortzug schon seelisch von den alten Plätzen losgesagt und getrennt. Es ist noch alles
überall wie früher, aber es hat doch schon nicht mehr die Bedeutung von ehemals."
....
Und so war es auch. Ich empfand wohl noch alle die Naturschönheiten als Naturschönheiten, was sie auch
waren, doch erst dann konnte ich mich für sie begeistern, wenn mein Geist in einer Art von
transzendentaler Verfassung war, wie man es als Alltagsmensch manchmal als träumerischen Zustand
bei innerlicher Friedlichkeit und Ruhe erleben mag, allerdings nur in einem recht schwachen Maße.
Kurz, in dem Entwicklungszustand, in dem ich mich seelisch befand, konnte diese Welt mit ihren
Erscheinungen in mir nur dann ein inneres Feuer der Begeisterung entfachen, wenn ich sie mit einem
transzendentalen Blick umfaßte und mit transzendentaler Gefühls-Einstellung empfand.
Diesen Zustand in mir selbst ich während der Dauer der Reise. Schließlich zog ich die einzig richtige
Konsequenz aus diesem Erlebnis: Ich stellte fest, daß ich mich im Zustande der völligen seelischen
Loslösung von dieser Welt befand.
Und so war es auch."
(Der Eremit: Erlebnisse in der Schule der Weissen Bruderschaft im Himalaya, Felix Schmidt
)
alles Liebe
Rehi