Evolution und Spiritualität. Die Botschaft Sri Aurobindos und Teilhard de Chardins für eine zeitgemäße Spiritualität
Das Ziel spirituellen Lebens wurde in den östlichen Wegen in einem Zustand des Nirvana oder der Befreiung gesehen, der dazu befähigt, nicht mehr wiedergeboren zu werden. Im traditionellen Christentum wollte man in den Himmel kommen bzw. man erwartete gemäß apokalyptischem Schema ein Gericht und die Auferstehung der Toten am Ende der Zeit.
In Indien vollzog der Yogi und Philosoph Sri Aurobindo (1872-1950) eine Wende hin zu einer welt- und evolutionsorientierten Spiritualität. Sein integraler Yoga strebt danach, sich der göttlichen Kraft zu öffnen, die in evolutionärer Weise eine Transformation des Bewusstseins bewirkt, die bis in die zelluläre Ebene gehen kann. Ziel ist dabei ein „göttliches Leben auf Erden“.
Auch der christliche Mystiker und Naturwissenschaftler Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) lehrte einen Weg der spirituellen Evolution. Er spricht von einem Punkt Omega, auf den die irdische Evolution zuläuft.
(weltkloster.de)
"Sri Aurobindo Das göttliche Leben
Hier wird es zweckmäßig, daß wir sehen, wie wir in diesem Aspekt der Wirklichkeit die Beziehung betrachten müssen, die wir zwischen dem Einen und den Vielen entdeckt haben. Das führt zu einer Bestimmung des wahren Zusammenhangs zwischen dem Individuum und dem Göttlichen Wesen, zwischen der Seele und dem ishvara. Nach der normalen theistischen Auffassung sind die Vielen von Gott erschaffen. Sie sind von ihm so gemacht, wie der Töpfer ein Gefäß macht. Von ihm hängen sie so ab, wie Geschöpfe abhängig sind von ihrem Schöpfer. In unserer umfassenderen Auffassung vom ishvara sind die Vielen in ihrer innersten Wirklichkeit selbst der Göttliche Eine. Sie sind individuelle Selbste des höchsten und universalen Selbst-Seins, ewig wie er ewig ist, aber ewig innerhalb seines Wesens.
Die einzige Regel für unser gnostisches Wesen ist, daß wir durch unser Selbst den Geist, den Willen des Göttlichen Wesens zum Ausdruck bringen. Dieser Wille, dieser Selbst-Ausdruck kann sich ebenso durch äußerste Einfachheit wie durch äußerste Vielfalt und Üppigkeit des Lebens oder durch natürliche Ausgewogenheit offenbaren - denn Schönheit und Fülle, die verborgene Süße und das Lächeln in den Dingen, der Sonnenschein und die Freude am Leben sind ebenfalls Mächte und Ausdrucksformen des Geistes. Nach allen Richtungen hin bestimmt der Geist, der im Innern das Gesetz unserer Natur lenkt, auch den Rahmen des Lebens, seine Einzelheiten und seine Umstände. In allem herrscht dasselbe formbare Prinzip. So notwendig die Geltung strenger Normen für eine Ordnung der Dinge durch das Mental ist, so kann dies doch nicht das Gesetz spirituellen Lebens sein. Hier wird sich vielmehr eine große Mannigfaltigkeit und Freiheit des Ausdrucks des Selbsts zeigen, die ihre Basis in der zugrundeliegenden Einheit hat. Und doch gibt es dabei überall Harmonie und eine Ordnung aus der Wahrheit.
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Pierre Teilhard de Chardin:
Für Teilhard ist die Liebe die universellste, die ungeheuerlichste und die geheimnisvollste der kosmischen Energien. Sie ist die Antriebskraft für das gesamte kosmologische Streben. Sie nimmt das letzte Ziel, die organische Einheit alles Seienden, bereits handelnd und leidend vorweg. Diese Liebe ist für Teilhard im Herzen von Jesus Christus bereits vollkommen verwirklicht. Sie ist nicht von außen in die kosmische Wirklichkeit eingedrungen, sondern ebenso wie der menschliche Geist ist sie dieser Wirklichkeit entsprungen, hat dabei ihr Wesen verändert und ist im Menschen personal geworden.
Omega, das ewig Eine, ist ein biblischer Hohheitstitel für Christus in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,6). Der „Punkt Omega“ ist Ziel, Richtung und Motor der Evolution. Teilhard beschrieb in seinem Hauptwerk Der Mensch im Kosmos die Einigung der Welt durch Gott mittels Jesus Christus mit folgenden Worten:
Teilhard war überzeugt von der Notwendigkeit des Übels, denn da das Viele dem „Spiel der Möglichkeiten“ unterworfen ist, muss das Übel unter der riesigen Zahl der Geschöpfe vorkommen. Mit dem Auftreten des Menschen wird die Kosmogenese zum großen Wagnis, da der Mensch mit Freiheit begabt ist und sein egozentrisches Streben nach Unabhängigkeit dem Ziel der Einheit entgegenläuft. Käme es zum Beispiel im Raum der Freiheit des Menschen nicht vor, so müsste man ernstlich an der Freiheit zweifeln. Das Übel ist also ein unvermeidliches Nebenprodukt einer Welt auf dem Weg zur Einswerdung, eine von der Schöpfung nicht zu trennende Mühsal.[37]
Auch im Wachstum der ganzen Welt ist das Leiden unvermeidlich. Wie für den Menschen das Wachstum im psychischen und geistigen Bereich mit Schmerzen verbunden ist, entsprechend ist auch der Prozess der Einswerdung der ganzen Menschheit im hohen Masse leidvoll. So beseligend die erreichte Vereinigung, so mühselig und leidvoll ist deren Vollzug.