Wer und was ist der Tennō?

Um zu erklären was der Tennō, also der japanische Kaiser, ist und wie sich seine Rolle entwickelt hat, muss ich etwas weiter ausholen. Ich versuche dennoch, es möglichst kurz und vor allem verständlich zu halten.

Falls es Fragen geben sollte, meldet euch bitte!


Das japanische Wort Tennō wird 天皇 geschrieben. Das erste Zeichen 天 bedeutet so viel wie Himmel, himmlische Gefilde, Paradies. Das zweite Zeiche 皇 ist zusammengesetzt aus "weiß/rein" und "König/Herrscher" und existiert nicht als Einzelzeichen, sondern wird immer genutzt um etwas kaiserliches anzuzeigen. Die Zeichen 天皇 zusammen bedeuten also so viel wie "himmlischer Herrscher". Der Name eines Tennō ist während der Regierungszeit sein normaler Geburtsname (derzeit also Kaiser Akihito, vergleichbar mit einem Namen wie Kaiser Wilhelm). Nach dem Tod oder der Abdankung wird dieser Name geändert. Der Kaiser wird dann nach seiner Regierungsdevise benannt. Ab dem 1. Mai wird daher aus Kaiser Akihito der Heisei-Tennō, denn seine Regierungszeit trug den Namen Heisei (Frieden schaffen). Ich werde in meinem restlichen Text sofern möglich immer beide Namensvarianten nennen.


Warum aber betrachten die Japaner ihren Kaiser als himmlisch? Auf Grund der religiösen Legenden des Shintō (der ursprünglichen Volksreligion Japans). Die beiden Werke, die als ältestes Geschichtschroniken Japans gelten (Das Kojiki und das Nihonshoki) sind nämlich gleichermaßen geschichtliche und religiöse Werke. Die Geschichtsschreibung Japans beginnt nämlich tatsächlich mit der Schöpfung ihres Landes durch die Götter. Folgt man dieser Entwicklung kommt man an einen Punkt, der nach unserer Zeitrechnung dem 13. Februar 711 v. Chr. entspricht. Dieser Tag ist den Chroniken nach der Tag an dem der erste Kaiser Japans, Jimmu-tennō, geboren wurde. Das besondere an Jimmu ist, dass seine Blutlinie auf die Sonnengöttin Amaterasu und den Meeresgott Owatatsumi zurück geführt wird. Er ist somit ein Mensch der unmittelbar dem Blut der Götter entstammt. Aus diesem Grund galt der Tennō über rund 2000 Jahre als Mensch göttlichen Ursprungs und somit selbst als gottgleich. Aus diesem Grund ist der Tennō bis heute gleichzeitig oberster Shintō-Priester (ähnlich wie Queen Elizabeth II. oberhaupt der anglikanischen Church of England ist). Die drei kaiserlichen Reichsinsignien (Schwert, Krummjuwel und Spiegel) sollen Jimmu von der Sonnengöttin Amaterasu selbst übergeben worden sein und sie gelten als derartig heilig, dass niemand außer dem Kaiser und den höchsten Shintō Priestern des Landes sie je zu Gesicht bekommt. Anders als andere Reichsinsignien (z. B. Krone, Zepter und Reichsapfel) werden diese drei selbst bei einer Inthronisation nur in Form von in Stoff verhüllten Holzkisten gezeigt.


Im Verlauf der Geschichte hatte Japan immer einen Tennō, zeitweise sogar zwei (Nord- und Südhof). Doch über Jahrhunderte lag die eigentliche Macht nicht beim Kaiser, sondern beim Shogun. Der Shogun erhält seine Stellung entweder durch eine militärische Machtposition oder durch die Vererbung des Titels vom Vater an den Sohn. Der Shogun musste zwar vom Kaiser anerkannt werden, stand jedoch eigentlich in direkter Konkurrenz zu ihm, da er die eigentliche Macht besaß, der Kaiser nur noch symbolisch herrschte und manche Shogune sogar Kaiser angriffen oder entführten.


Die entscheidende Wende trat dann 1867 ein, als Meiji-Tennō (Mutsuhito) Kaiser wurde. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt verlor der letzte Shogun Japans seine Macht und leitete namens und in Zusammenarbeit mit dem Meiji-tennō die sogenannante "Meiji-Restauration" ein. Damit nahm Japan viele westliche Einflüsse auf, veränderte die Form der Diplomatie, löste das Feudalsystem auf, eröffnete staatliche Schulen und übernahm den uns bekannten Gregorianischen Kalender und Japan entwickelte sich zur See- und Handelsmacht. Der größte Schritt zur Modernisierung war jedoch die Schaffung der neuen Verfassung von 1890. Somit beginnt das sogenannte "Moderne Japan" auch erst 1868 mit Beginn der Meiji-Restauration, nachdem die Tokugawa-Shogune über 250 Jahre lang alles daran gesetzt hatten, Japan stärker zu isolieren und Traditionen zu bewahren. Kaum zu glauben aber wahr: Erst durch die Meiji-Restauration verloren die berühtem japanischen Krieger, die Samurai, ihre Bedeutung.


Was aber ist seither passiert?


Auf den politisch aktiven und religiös kaum interessierten Meiji-Tennō (Mutsuhito) folgte der Taishō-Tennō (Yoshihito). Dieser ist jedoch wenig relevant, da er aus gesundheitlichen Gründen wenig selbst politisch aktiv war.


1921 übernahm Shōwa-Tennō (Hirohito) den Thron. Zu dieser Zeit hatte Japan diverse Teile Ostasiens besetzt und der Shōwa-Tennō folgte dem Weg der Eroberung weiter. Das größte Ereignis war in militärischer Sicht selbstverständlich der nach einigem hin und her eingeleitete Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 und damit der Eintritt in den zweiten Weltkrieg. Nach diversen politischen Verstrickungen, diplomatischen Missverständnissen und der Atombombe auf Hiroshima wurde in Japan über den Ausstieg aus dem Krieg beraten. Die Fanatiker in der Regierung ,die den aussichtslos gewordenen Kampf weiter führen wollten, sorgten hier für enorme Verzögerungen, bis 3 Tage nach Hiroshima die Bombe auf Nagasaki fiel. Hier nun tat der Shōwa-Tennō (Hirohito) das einzig richtige: Er nutzte seine kaiserliche Vollmacht und setzte sich über die Regierung hinweg und entschied sich für die bedingungslose Kapitulation. Wie viel emotionalen und ethischen Einfluss auf Japan der Tennō zu dieser Zeit hatte, zeigt sich in einem simplen und doch eindrucksvollen Beispiel: Shōwa-Tennō (Hirohito) selbst wandte sich in einer landesweiten Radio-Ansprache an sein Volk - das erste Mal, dass das Volk überhaupt die Stimme des Kaisers hörte! Ohne die Worte "Niederlage" oder "Kapitulation" oder ähnliches zu benutzen teilte er dem Volk mit, man müsse sich dem unausweichlichen beugen und den Weg des Friedens wählen. Er forderte sein Volk auf, wieder an die Arbeit zu gehen, zum Wohle des Kaiserreichs, und die weiteren Entwicklungen friedlich anzunehmen. Kaum zu glauben aber wahr, obwohl die Japaner schon immer ein extrem stolzes Volk waren, erfolgte die Besetzung durch die USA ohne den geringsten Widerstand aus dem Volk.


In der weiteren Entwicklung zeigt sich der "wahre Geist Japans", der mich bis heute so fasziniert: Der kurz vorher noch unnahbare göttliche Herrscher des Landes suchte nämlich in einen westlichen Anzug gekleidet das persönliche Gespräch mit General McArthur, der Japan nun regierte. Aber nicht nur das. Der "himmlische Herrscher" der sonst nur von Gefolge umgeben war und dem niemand in die Augen sehen durfte, stand dem deutlich größeren McArthur nur begleitet von einem Dolmetscher im Vier-Augen-Gespräch gegenüber. Und während McArthur erwartete, dass der Shōwa-Tennō (Hirohito) Forderungen stellen, Verhandeln oder um seine eigenen Vorteile feilschen würde, tat dieser etwas unerwartetes: Er bat darum sein Volk zu verschonen, da nur er allein als Kaiser die volle Verantwortung für sämtliche militärische Handlungen tragen würde. McArthur war nicht nur überrascht, sondern beeindruckt und tief bewegt. Später bezeichnete er den Kaiser als "feinsten Gentleman Japans". Zum Glück war McArthur auch so klug, den Kaiser zwar politisch zu entmachten, ihn aber symbolisch als Staatsoberhaupt zu belassen. Experten sind sich sicher, dass alles andere vermutlich zu einem blutigen Volksaufstand geführt hätte. Die spätere Aufforderung ,dass der Kaiser seiner göttlichen Herkunft entsagen müsse, beantwortete der Shōwa-Tennō (Hirohito) mit einer simplen aber mächtigen Aussage:

„Jene Bande, die mich und mein Volk umschließen, beruhen nicht auf der falschen Vorstellung, dass der Tenno göttlich sei.“ - von nun an war der Kaiser offiziell ein Mensch wie jeder andere!


1989 bestieg Akihito als 125. Kaiser den Thron. Dieser Kaiser war im Grunde vom ersten Moment etwas besonderes. Während des Krieges war er mit einem Teil der kaiserlichen Familie evakuiert worden, wurde von einer Amerikanerin in englischer Sprache und westlicher Kultur unterrichtet und studierte Volkswirtschlaftslehre, Politikwissenschaften und Meeresbiologie. Damit war er nicht nur der erste Kaiser, der von frühster Jugend auf den Kontakt mit westlichen Ländern vorbereitet wurde, er war auch der erste japanische Kaiser, der studiert hatte. Und es sollte mit Akihito noch viele "erste Male" geben. Denn er war auch der erste Tennō, der eine Bürgerliche heiratete - die Tochter eines Geschäftsmannes wurde Kronprinzessin und die jetzige Kaiserin Michiko. Er ist auch der erste Kaiser, der der Öffentlichkeit zumindest einen sehr kleinen Einblick in sein Privatleben gestattet. Neben einem bescheidenen Auftreten und auffälliger Freundlichkeit ist vor allem die Volksnähe sein bekanntestes Merkmal. Er reiste mit der Kaiserin nicht nur durch das Land um Denkmäler oder Schreine und Tempel zu besuchen, sondern traf sich zu persönlichen Gesprächen mit Opfern von Naturkatastrophen oder anderen einschneidenden Ereignissen. Das folgende Bild zeigt ihn in Freizeitkleidung im direkten Gespräch mit zwei Opfern der Fukushima-Katastrophe:


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Während sein Vater, der Shōwa-Tennō in jungen Jahren noch als Mensch göttlicher Herkunft galt, den niemand aus dem Volk je hörte oder gar aus der Nähe sah, mutet Akihito eher an wie ein freundlicher Großvater von nebenan, der mit seinen Nachbarn plaudert. Faszinierend, meinst du nicht?


2016 gab es dann das nächste "erste Mal" mit Akihito, denn er äußerte den Wunsch, aus gesundheitlichen Gründen abzudanken und das Amt an seinen Sohn, den Kronprinzen Naruhito abzugeben. So etwas gab es seit 200 Jahren nicht mehr und die von Meiji-Tennō geschaffene Verfassung sah dies überhaupt nicht vor. Etwa ein Jahr lang tüftelte die Regierung an den entsprechenden Gesetzesänderungen, bis man alles unter Dach und Fach hatte.


Heute - am 30.04.2019 - wird er um Mitternacht japanischer Zeit (17:00 Uhr MESZ) offiziell abdanken und den Thron verlassen. Damit endet seine Amtszeit unter der Regierungsdevise Heisei (Frieden schaffen) nach dem heute noch gebräuchlichen traditionellen Kalender im Jahre Heisei 31 (also im 31 Jahr seiner Regierungszeit). Ab morgen wird aus dem amtierenden Kaiser Akihito dann der Heisei-tennō und Kronprinz Naruhito wird zum neuen Kaiser Japans. Und auch hier gibt es schon ein neues "erstes Mal", denn Naruhito ist bereits 59 Jahre alt und ist damit bei Amtsantritt so alt wie noch kein einziger Tennō in der Geschichte Japans. Bisher gehörten sein Vater Akihito, Kōnin-Tennō (8. Jahrhundert) und Kōkō-Tennō (9. Jahrhundert) mit 55 Jahren zu den Rekordhaltern.


Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen durchaus speziellen Blogbeitrag vollständig durchzulesen. Ich hoffe, du konntest ein paar interessante Fakten und Neuigkeiten für dich aus diesem Beitrag mitnehmen. Falls nicht konnte ich dich hoffentlich zumindest für einen Moment mit meiner Begeisterung anstecken und dich mitfühlen lassen, was mir dieses Thema bedeutet. :sieg:


In diesem Sinne:


Mata ne!

(Bis bald!)

Bitte nimm meine Worte so wie ich sie schreibe. Bei Unklarheiten frag nach. Danke!

Kommentare 1

  • Wundevoll @Satoshi - Japan ist definitiv ein Stückchen näher gerückt, in Richtung mein Herz!

    Deine Liebe zu der japanischen Kultur schwappt über, danke für den Beitrag!