Bushidô - nicht nur für Samurai

Heute möchte ich in meinem Blog auf etwas eingehen, womit viele noch nicht in Berührung gekommen sind. Ich möchte dir meine Gedanken zum Bushidô darlegen und dich vielleicht zum nachdenken anregen.


Erst mal steht da natürlich die Frage im Raum, was der Bushido ist und inwiefern es heutzutage überhaupt von Interesse sein könnte.


武士道 sind die drei Schriftzeichen die zusamen Bu-Shi-Dô bilden. Das erste Zeichen wird genutzt in diversen militärischen Begriffen. Das zweite Zeichen steht für Samurai, aber ebenso für Gelehrte. Und das dritte Zeichen ist "der Weg". Daher wird der Bushido auch gerne als "Weg des Kriegers" bezeichnet, wobei der Krieger hier nicht der einfache Soldat ist sondern der "militärische Gelehrte" wenn man so will, also der Samurai, der über Jahre hinweg von Kindheit an eine immense Ausbildung durchläuft.


Warum ist der Weg des Kriegers für mich, eine spirituell Interessierte, militärisch in jeder Art inaktive Frau von Interesse? Wegen des Inhalts! Denn der Bushido besteht im Kern aus den sogenannten "sieben Tugenden", einem ungeschriebenen Verhaltenskodex. Heutzutage sind die sieben Tugenden zwar benannt, aber sie wurden erst spät aufgeschrieben und nicht alle Quellen benennen sie vollkommen identisch. Früher war es einfach nur eine Verhaltensweise, eine Reihe moralischer Werte, die von den Vätern oder Ausbildern an die Jungen weiter gegeben wurde. Und auch früher schon galt dieser Kodex für die Samurai im Grunde ebenso wie für ihre Ehefrauen. Und auch sonst finden sich diese Tugenden nahezu überall im klassisch japanischen Denken und dem klassisch japanischen Verhalten wieder. (Klassisch deshalb, weil die Menschen natürlich inzwischen leider mehr davon abweichen und es auch dort Menschen ohne Benehmen gibt.)


Was also sind die sieben Tugenden? In den meisten Quellen werden sie wie folgt benannt:


Aufrichtigkeit/Wahrhaftigkeit/Integrität

Respekt/Höflichkeit

Mut

Ehre

Güte/Mitgefühl

Ehrlichkeit

Pflichtgefühl/Loyalität


Im ersten Moment mag das vielleicht etwas fremdartig wirken, aber wenn man sich damit auseinander setzt, macht es Sinn.


Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit fordern dich dazu auf, nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu handeln, also nicht zu betrügen oder dir anderweitig unangemessene Vorteile zu verschaffen. Sie verlangen von dir aber auch, Menschen gerecht zu behandeln und dich gegen ein mögliches Unrecht zu stellen.


Respekt und Höflichkeit bedeuten nicht, dass du immer und überall zu jedem nett sein musstest. Diese Tugend verlangt aber zum Beispiel, deinem Gastgeber Respekt zu zollen, einen Vorgesetzten nicht vor anderen bloß zu stellen, Kritik unter vier Augen zu äußern und zu respektieren, dass jeder Mensch ein Mindestmaß an Höflichkeit verdient hat. Und vor allem ist diese Tugend nicht daran gebunden, ob du die Person magst. So ist zum Beispiel bekannt, dass japanische Feldherren teilweise um ihre Feinde trauerten, mit Begründungen wie "Wir standen zwar auf verschiedenen Seiten, aber er war ein guter Stratege, der mir viel abverlangt hat." oder "Mit diesem General hat unser Land einen ihrer Besten Krieger verloren."


Mut bedeutet nicht nur, sich in eine Gefahr zu stürzen. Mut bedeutet auch, für etwas einzustehen oder sich den Konsequenzen des eigenen Handelns zu stellen. Mut bedeutet auch, einen Fehler einzugestehen und es erfordert Mut, sich zu entschuldigen. Genau genommen taucht Mut oft da auf, wo wir ihn gar nicht erwarten. Es erfordert Mut zu sagen, dass man Angst hat. Und es erfordert Mut, seinen Prinzipien zu folgen und sich nicht von der Masse mitreißen zu lassen. Es erfordert Mut, zu lieben oder zu vergeben. Mut ist überall um uns herum, wir müssen nur lernen, ihn zu sehen.


Ehre ist wohl für uns westliche Menschen am schwersten zu verstehen. Dabei ist sie uns überhaupt nicht fremd. Es ist nur ein Begriff, der bei uns unüblich ist und oft negativ oder falsch belegt ist (speziell durch irreführende Begriffe wie Ehrenmorde). Der wohl bekannteste Begriff in unserer Gesellschaft ist, wenn ein Mann "die Ehre einer Frau" verteidigt. Wenn er sie also zum Beispiel vor Übergriffen durch andere Männer beschützt. Aber was ist diese "Ehre" die da beschützt wird? Wir alle haben ein Gefühl von Ehre. Wir sind EHRlich und geben unser EHRENwort. Wenn man die Wahrheit sagt und dennoch von anderen als Lügner bezeichnet wird, fühlt man sich gekränkt. Denn man fühlt sich in seiner Ehre verletzt. Die Ehre ist auch das, was in uns rebelliert, wenn wir erniedrigt werden. Aber die Ehre ist auch das, was uns daran hindert, mit gleichen niveaulosen Waffen zurück zu schlagen.


Güte und Mitgefühl sind für viele scheinbar selbstverständlich, werden aber oft falsch gedeutet. Güte bedeutet nicht, alle Menschen zu lieben und allen zu helfen. Güte ist, wenn man verzeiht, wenn man über kleine Fehler hinweg sieht, wenn man noch einmal Gnade vor Recht ergehen lässt, wie man so schön sagt. Mitgefühl bedeutet mit jemande mit zu fühlen. Mitgefühl kann auch zu Mitleid führen, aber es führt niemals dazu einen Menschen zu bedauern. Wenn man mit einem Menschen mitfühlt, erkennt man, was dieser Mensch braucht und handelt entsprechend. Man wird sanfter, wenn man merkt, dass dem anderen der Druck zu viel wird. Zu erkennen, dass einem entgegen schlagende Aggression nichts mit einem selbst zu tun hat und sie hinzunehmen. Einfach nur schweigend neben einem Freund zu sitzen und da zu sein. Mitgefühl und Güte bedeuten nicht, jemanden mit der eigenen Liebe und Hilfe zu erdrücken, sondern einem Menschen das zu gewähren, was er braucht.


Ehrlichkeit ist für viele Menschen eine angebliche Selbstverständlichkeit. Aber es bedeuten nicht nur nicht zu betrügen oder zu lügen. Immer nur brutal ehrlich zu sein kann auch schaden. Aber Ehrlichkeit verlangt auch, dass du ehrlich zu dir selbst bist. Dass du ehrlich damit umgehst, wer du bist, was du kannst und was du magst. Ehrlichkeit erfordert Mut.


Pflichtgefühl und Loyalität sind etwas sehr schwieriges. Pflichtgefühl bedeutet, eine Aufgabe, die einem gestellt wurde, zu erfüllen oder zumindest sein bestes zu versuchen. Loyalität bedeutet, Menschen nicht zu hintergehen und ihnen auch in schweren Zeiten zur Seite zu stehen. Loyalität bedeutet aber auch, sich selbst treu zu bleiben. Pflichtgefühl und Loyalität sind kein blinder Gehorsam. Sie sind freiwillige Treue und Kameradschaft, ein freiwilliges Dienen gegenüber einer Aufgabe oder Person. Sobald Zwang im Spiel ist, hat es nichts mehr mit Loyalität zu tun. Und Loyalität kann und darf dort enden, wo man ausgenutzt wird oder wo eine Person durch ihr Verhalten unsere Loyalität nicht mehr verdient. Loyalität und Pflicht verlangen von uns nur, so lange wie möglich durchzuhalten und erst bei einem wirklich triftigen Grund einen anderen Weg einzuschlagen.


Jede Tugend für sich mag manchmal schwer und manchmal leicht zu befolgen sein. Doch die Kunst liegt darin sie in Balance zu bringen. Höflichkeit gegen Ehrlichleit abzuwiegen, Loyalität gegen Mut, Pflichtgefühl gegen Güte, Ehrlichkeit gegen Mitgefühl. Wenn einem das gelingt, findet man den Weg zur bestmöglichen Version von sich selbst und kann erhobenen Hauptes durch das Leben gehen und seinen Weg verfolgen.


Ich hoffe meine Erläuterungen waren nachvollziehbar und vielleicht habe ich dir ja einen Denkanstoß geliefert, mit dem du dich selbst erneut prüfend im Spiegel betrachten kannst.


Auch wenn dieser Weg nicht einfach ist, hat er mir schon sehr oft geholfen.

Bitte nimm meine Worte so wie ich sie schreibe. Bei Unklarheiten frag nach. Danke!

Kommentare 1

  • Wundervoll, danke Sandra <3


    Wenn man diese Tugenden so studiert, scheinen sie irgendwie selbstverständlich zu sein. Dennoch, wenn wir tiefer auf sie eingehen, finden wir heraus, dass unsere Mentalität ihnen im Wege stehen. Ich denke da an Notlügen, welche gesellschaftskonform geworden sind, jedoch der Tugend "Ehrlichkeit" widersprechen. Das ist nur ein Beispiel und dann wundern wir uns, wenn wir einander auf die Füsse treten.


    Ich meine, im Zusammenhang mit dem Buddhismus, von diesen (oder anderen) Tugenden gelesen zu haben; tatsächlich fasziniert mich der Buddhismus deswegen, weil er praktische "Anleitungen" für den Alltag parat hat und bis in die Tiefen des Bewusstseins erklärt, warum Tugenden dienlich sind.


    Schön, einen Einblick in die japanische Kultur erhaschen zu dürfen - nochmals danke!